Zufällig lese ich gerade das dritte der drei Bücher, die ich mir unlängst in der Augsburger Stadtbücherei besorgt habe: Den Erzählband ""Warte nur, es passiert schon was" von Christos Ikonomou. Und er passt bestens in die gegenwärtige Fastenzeit. Zu Lachen gibt es darin nichts - jedenfalls soweit ich bis jetzt kam - dafür eine Menge zum Nachdenken, zum Bangen und Hoffen mit den beziehungsweise für die armen, geschundenen Protagonist(inn)en. Nur bringen die Gedanken keine Lösung, die Hoffnung wird zerschlagen. Und immer wieder beginnt eine ganz neue Geschichte, die ebenso traurig wie die letzte ist.
6 der insgesamt 16 "Erzählungen aus dem heutigen Griechenland" (wie der Untertitel des Buches lautet) habe ich bis jetzt gelesen, Geschichten über verlassene und bestohlene, geprügelte, vergewaltigte, angekreischte, vom Hunger geplagte, der Freunde beraubte Individuen. Sie trösten sich mit Salatherzen - frisch und zart; mit der Süßspeise Halvas, deren Duft sich kurz über den Geruch von der Einsamkeit und miesen Armut legt und die sich sogar zu einer Menschengestalt formen und mit ins einsame Bett nehmen lässt. Sie versuchen es mit Zwiegesprächen mit Katzen, mit einem selbstgebastelten, an einem Besenstiel befestigten Plakat. Doch die Lieblingskatze endet schließlich grausam und das Plakat bleibt ohne Aussage - weiß doch der durch einen tragischen Arbeitsunfall seines Freundes beraubte Jannis nicht, was er darauf schreiben könnte, und zieht mit der leeren Tafel zur Unfallstelle, um für den Verunglückten zu demonstrieren. Ebenso wie das Plakat ist er voll von einer unglaublichen Leere. Echten Trost finden sie ebensowenig wie eine echte Perspektive - nicht einmal eine kurze Auszeit aus der täglichen sinnlosen Tretmühle - ein wenig Humor, ein herzliches Lachen. Ich habe das Gefühl, dass der Autor damit bewusst gegeizt hat, um sein Bild des heutigen Griechenland durch die ewige Wiederholung allein des Melancholischen bis tief Traurigen umso eindringlicher zu zeichnen - wie ein Maler, der nur kalte, düstere Töne auf seiner Leinwand zulässt, um einen speziellen Effekt zu erzielen, eine bestimmte Botschaft zu übermitteln.
Damit kontrastiert das von Ikonomou gezeichnete Griechenlandbild sehr stark mit dem meinen. Klar, ich kenne das Land vor allem in einer Urlaubssituation und vorwiegend im ländlichen Raum und auf den Inseln, die großen Städte besuche ich immer nur kurz. Jedenfalls traf ich immer wieder auf Menschen, deren Fröhlichkeit und positive Grundeinstellung zum Leben sehr robust und kaum durch etwas unterzukriegen schienen. Ähnlich wie mir scheint es auch beispielsweise dem deutschen Autor Landolf Scherzer bei den Recherchen für seinen Krisenbericht aus Griechenland mit dem Titel "Stürzt die Götter vom Olymp - Das andere Griechenland" gegangen zu sein, der viele hart von der Sparpolitik, von Arbeitslosigkeit und fehlenden Sozialleistungen Betroffene portraitiert hat. Was mir an seinem Krisenbericht besonders auffiel, war dass viele von ihnen beispielsweise in der Solidarität mit ihren Mitmenschen Trost und Hoffnung gefunden haben. Von ihrer immer wieder durchbrechenden Fröhlichkeit und ungebrochenem Mut zeugen zahlreiche Berichte und Fotos in Scherzers Buch.
Lachende, trotz allem heitere Personen passen aber offenbar ebensowenig wie humorvolle Sichtweisen in das Bild, das Ikonomou sehr eindringlich mit seinen Erzählungen zeichnet - ein Bild einer menschenunwürdigen Umwelt, in der unterschiedliche Individuen verzweifelt immer wieder das schon geradezu unmöglich gewordene Menschsein versuchen. So tieftraurig dieses Bild sein man, ich tauche gern in die von Ikonomou gezeichnete Welt ein, um seinen Protagonist(inn)en durch die Straßen und entlang den Kais von Piräus zu folgen und von Erzählung zu Erzählung klarer und deutlicher zu spüren: So darf das nicht weitergehen in Griechenland oder irgendwo. Und sosehr mir an Ikonomous Helden auch der Aspekt des Humor und der Fröhlichkeit fehlt, so vertraut kommen mir doch andere Eigenschaften vor, wie die Empathie, die Vorliebe für tiefgreifende, geradezu philosophische Überlegungen, die gute Beobachtungsgabe und die Kontaktfreude und Lust am Gespräch, womit gerade in den misslichen Lagen, in denen sie sich befinden auch Verzweiflung einhergeht, wenn etwas, das sie fühlen, das sie bewegt, eben einmal gar nicht zu kommunizieren – ja noch nicht einmal in Worte zu fassen – ist.
So ein Arbeiter in der Erzählung „Das Blut der Zwiebel“:
"Ich würde so gern fluchen. Wenn du wüsstest, wie gern ich fluchen würde. Aber es kommt nichts. Und ich kann nicht mal darüber reden, verstehst du? Und weil ich nicht sagen kann, was ich fühle, habe ich Angst, dass ich es auch nicht mehr fühle. Dass es verlorengeht. Dieses Schweigen macht mir große Angst. Das ist so brutal. Wie viel Schweigen kann ein Mensch mit sich herumtragen?"Ein anderer verspürt in der Erzählung "Ein mit Kohle gemaltes Schnurrbärtchen":
"Ich habe den Eindruck, dass ich das alle nicht mir den Ohren höre, sondern mit dem Herzen."
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